„Wir kümmern uns um die Menschen hinter den Schlagzeilen“

Reisebericht von Fritz Körber

Die Aufgabe, der sich Schwaigs Altbürger-meister Fritz Körber gegenübergestellt sah, war für ihn nicht neu, aber aufs Neue herausfordernd: Wieder einmal machte sich der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Behringersdorf-Schwaig ins ukrainische Charkiw auf, um der Alltagsnot der dort lebenden Menschen zu begegnen.

Auch diesmal war er mit einer kleinen Delegation mit dem Flugzeug unterwegs, der auch Kurt Bauer und Roland Seitz von den Naturfreunden aus Lauf und seine Schulkameradin Elisabeth Götz angehörte. Körber holt Fotos hervor und erzählt von seinen tiefen Eindrücken, die der siebentägige Aufenthalt erneut hinterlassen hat.

 

Es ist ein trüber Mittwochabend als das Flugzeug auf den internationalen Flughafen in Charkiw aufsetzt. Freunde sind gekommen. Die kurze Begrüßungszeremonie ist wie immer herzlich, doch irgendetwas liegt in der Luft.  Iwan unser Dolmetscher erklärt wortreich, dass unser eingeplanter Kleinbus von der Behindertenorganisation „Promin“ vor wenigen Stunden seinen Geist aufgegeben hat. Er braucht eine neue Wasserpumpe. Kurt Bauer und Roland Seitz wohnen privat; Elisabeth Götz und ich haben im Hotel „Charkiw“ in der Innenstadt jeweils ein Zimmer gebucht. Iwan hat vorsorglich bereits ein Taxi bestellt und wenige Minuten später stehen wir immer wieder im Stau im Abendverkehr der Eineinhalbmillionenstadt.

 

Zeit zum Ausruhen oder Auspacken ist nicht eingeplant. Elisabeth will die Stadt sehen. Auf unserem Weg über die Sumskaya begegnen wir einer Metropole turbulent und funkelnden Lebens. Im Zentrum der Stadt wächst die Zahl der Luxus anbietenden Geschäfte ständig. Kleidung, Kosmetika und Autos – das Angebot ist auf dem neuesten Stand. Die einstige Tristesse der sprichwörtlich grauen Stadt ist hellen Fassaden und einer Überfülle an farbigen Reklamen mit LED-Leuchten gewichen. Das Rathaus, ein Protzbau der Stalinzeit kann durchaus bestehen neben den neuen Gebäuden, denen der aufstrebende Kapitalismus gesichtslose Glasfassaden diktierte. Und wir stellen fest: Auch hier haben in den letzten Jahren mehr und mehr westeuropäische Gepflogenheiten Fuß gefasst. Doch das alles hat seinen Preis - denn drei Straßen weiter sieht die Welt ganz anders aus.

 

Unser erster Morgen in Charkiw. Ich ordne meine Gedanken und mache einen kurzen Spaziergang. Dann Frühstück mit Liesbeth im Hotel und auf zum ersten Treffen mit der Stadtverwaltung. Frau Swetlana Gorbunova-Ruban, die stellvertretende Oberbürgermeisterin und ein Fernsehteam erwarten uns bereits. Auf dem Weg dorthin begegnen wir auch der gebeutelten Gestalt eines Menschen, der eine riesige Tasche trägt. Dieser Mensch sammelt Flaschen, denn die Ukraine ist ein trinkfestes Land, erklärt mir Iwan. In Charkiw das Trinken zu verbieten, wäre das gleiche, als wollte man in Nürnberg das Würstchenessen untersagen. Dennoch glaubt mein Dolmetscher Iwan, dass zumindest der Wodka die Ukraine im gewissem Maß gerettet hat. In einem solchen Land kann man ohne Narkose nicht leben, sagt er so nebenbei als wir bereits im Vorzimmer der stv. Oberbürgermeisterin stehen.

 

Hilfen seit über zwei Jahrzehnten
In aller Eile gebe ich dem bereits wartenden Fernsehteam ein Interview, beantworte Fragen und nehme zu den derzeitigen Hilfsmaßnahmen und der letzten Jahre Stellung. Aber auch die Laufer Naturfreunde kommen zu Wort. Kurt Bauer und Roland Seitz erinnern an die Ferienmaßnahmen für Charkiwer Kinder am Naturfreundehaus in Hormersdorf und an die finanzielle Unterstützung des Krankenhauses Nr.16 bei der Beschaffung verschiedener Medikamente. Danach erzählt Frau Gorbunova-Ruban über die Probleme einer Eineinhalbmillionenstadt, über die verbreitete Armut und Flüchtlingssituation wobei ihr vor allem die Diskussion um das Coronavirus enorme Problem bereite. Gleichzeitig dankte sie der Arbeiterwohlfahrt Behringersdorf-Schwaig und den Naturfreunden Lauf für die jahrzehntelange Unterstützung, mit der gleichzeitigen Bitte, wenn möglich, die dringend notwendige Operation für einen Säugling zu finanzieren.

Bei diesem Säugling des Ehepaares Vladimir und Ekaterina Kudlenko besteht ein angeborener Hydrozephalus (Wasserkopf) der ohne OP zum Tode führt. Es folgen ausgiebige Gespräche mit den jungen Eltern und dem betreuenden Professor im „Krankenhaus Schnelle Hilfe“ und nach einer unruhigen Nacht übernehme ich am nächsten Tag die Finanzierung der Operation mit 2000.- Euro.

Die Zeit drängt. Abfahrt ins Kulturhaus der Miliz im Wohnbezirk „Kyinskij“. Wir fahren im Dienstwagen der stv. Oberbürgermeisterin zur Verteilung der finanziellen Hilfen an 150 bedürftige Familien. Sehnsüchtig werden wir erwartet. 30 Euro enthält jedes Kuvert der AWO. Dankbar und mit Tränen in den Augen nehmen alle unser Geschenk entgegen. Nach dem obligatorischen Foto schart sich eine ständig wachsende Gruppe von Frauen und Männern um uns. Sie machen aus ihrem Unmut keinen Hehl: „Keine Arbeit, kein Geld, keine Aussicht auf ein Leben“. Ein schlecht rasierter Mann flucht wie ein Rohrspatz. „Früher hätten einem armen Schlucker wie ihm immerhin die Russen ein Auskommen ermöglicht“ übersetzt mir Iwan. Viele bedanken sich bei mir mit Grüßen an unsere Geldgeber, drücken mir die Hand und bekreuzigen mich. Und unsere Gruppe ist überzeugt, die Schar der Bedürftigen scheint von Jahr zu Jahr zu wachsen.


Ein Wechselbad der Gefühle
Auf dem Weg ins Blindengymnasium „Korolenko“ stellt Liesbeth immer wieder fest, dass es in der Ukraine nicht nur arme Menschen geben muss. Da sind Autos zu sehen, die 60.000 Euro und mehr kosten. Direktor Bilous wartet schon am Eingang. Nach kurzer Besprechung begrüßt uns die Blaskapelle mit einer Willkommensfanfare und der Jugendchor bietet uns ein beeindruckendes eineinhalbstündiges Kulturprogramm. Im Anschluss werden wir zu Tisch gebeten. Es gibt den ukrainischen Borschtsch und auch der Wodka fließt nach den üblichen Tischreden reichlich. Ein Trinkspruch löst den anderen ab. Auch hier geben wir einen Geldbetrag für ein Waisenkind.
Im Anschluss kurzer Besuch im Blindenheim bei Valja Burduluk und ihrem Sohn Bogdan, der vor wenigen Jahren auf Kosten der AWO in der UNI-Klinik in Erlangen erfolgreich operiert wurde. Das Zimmer, das sie zu zweit bewohnen ist äußerst bescheiden. Die Tapete hängt von den Wänden und lediglich eine dünne Wand aus Karton teilt den Raum. Es tut weh, diese Not sehen zu müssen. Ich gebe Valja einen Geldbetrag. Ihr Leben als Blinde selbst in die Hand zu nehmen, kann und hat Valja nie gelernt. Hier geht alles vor die Hunde!


Es ist dunkel geworden. Am Platz der Freiheit ist der Sockel des ehemaligen Lenin-Denkmals weiträumig mit Baugittern umzäunt. Der Anführer der russischen Oktoberrevolution musste seinen Ehrenplatz schon im September 2014 räumen. Iwan erzählt uns beim Gang ins Hotel, eine seltsame Engelsfigur hätte laut dem Willen des Rathauses Lenin ersetzen sollen. Doch das Gros von Aktivisten möchte an der Stelle der Lenin-Statue eine Gedenkstätte für die Opfer des Donbass-Krieges errichten. Bis dahin wird den Gefallenen in einem Zelt am oberen Ende des Freiheitplatzes gedacht. „Alles für den Sieg“, heisst es auf einem blauen Band auf Russisch über dem Zelt. Doch die Einheimischen gehen meist achtlos vorüber.


Der nächste Tag beginnt mit einer Überraschung und einer Art Audienz. Unser Kraftfahrer Jurij Tschaplygin steht mit seiner betagten Klapperkiste von Bus vorm Hotel und die Herren Vjatscheslav Petuchov und Abduschew Schamiljewitsch sind gekommen und bitten um Hilfe. Viele Fragen muss Iwan übersetzen. Beim Hinausgehen bedanken sich beide für die Unterstützung und flüstern mir auf Deutsch zu: „Danke, Gott segne Sie“! Ich treibe zur Eile. Der erste Programmpunkt an diesem Tag führt uns zu „Promin“ ins Zentrum für geistig Behinderte. Von der Aufgabenstellung vergleichbar mit unserer Lebenshilfe. Unsere kleine Delegation wird mit Freude empfangen. Nach einem einstudierten Programm zum sogenannten Frauentag geben wir auch hier eine Spende für dort wo am Nötigsten.


Um die verlorene Zeit wieder aufzuholen, durchlaufen wir die Räumlichkeiten im Eiltempo. Mit Verspätung kommen wir ins Sozialzentrum des Wohnbezirks „Moskowsky“. Vor Jahren wurde von uns beschlossen, hier im Quartal 350 Essenspakete an die ärmsten der Armen zu verteilen. Wir werden zum Mittagessen eingeladen. Unsere Freude über die Begegnung und das Gelingen des Projekts „Essenspakete“ gibt reichlich Anlässe das Glas zu erheben. Herzlich werden wir verabschiedet. Für mich ist diese Einrichtung ein Markt der Armen. Die Wohnblöcke in der Nachbarschaft sind im Zustand des Verfalls. Lieblos haben die Bauherren des Sozialismus sie dort hingeklotzt. Jetzt strafen sie die Stadt mit Bildern einer Untergangsstimmung.
Aufschlussreich ist der Termin bei der Behindertenorganisation „Spodivannja“ und ihrer Vorsitzenden Irina Bondarenko.  Aufgeregt und mit zittrigen Händen erzählt die ältere Dame von ihren Schwierigkeiten, von der mangelnden Unterstützung seitens der Behörden, von ihrem Glauben, in dem sie tief verwurzelt ist. Keine Anzeichen von Resignation oder fehlendem Lebenswillen spiegelt sich in ihren Worten wider, stattdessen ungebrochene Hoffnung für ihre 95 an den Rollstuhl gebundenen Mitglieder. Nach kurzer Beratung übergeben wir eine größere Geldspende und fühlen, dass diese Frau in ihrer schier ausweglosen Situation uns ein eindrucksvolles Beispiel an Mut und positiver Lebenseinstellung sein sollte.


Ein Leben wie aus einer anderen Zeit
Wir schreiben den 07. März. Wir sind eingeladen in das 30 Kilometer südlich von Charkiw gelegene Rakitnoje. Auf dem Weg dorthin kurzer Aufenthalt in Merefa. Wir besuchen das blinde Mädchen Tatjana Blinowa, das mir vor Jahren für die Bezahlung ihrer Operation einen Engel strickte. Bei unserer Ankunft fließen Tränen der Freude und wir übergeben eine Spende der Arbeiterwohlfahrt. Rakitnoje – unsere Anfahrt erfolgt über die „Sowjetskaja“ der Hauptstraße des Ortes. Ein Gotteshaus, ein schäbiger Laden, ein blauer Container der als Kiosk dient, das Schulhaus und ein Kriegerdenkmal umrahmen den Dorfplatz. Der Bürgermeister, die Rektorin der Schule und andere Persönlichkeiten des Ortes empfangen uns unter dem Klang der deutschen und ukrainischen Nationalhymnen. Nach einer Besichtigung der Berufsschule und den üblichen Reden und dem Austausch von Geschenken ging es ins so genannte „Dorfcafe“ zum offiziellen Empfang. Die Lautstärke nimmt zu, Tischreden werden gehalten und mit Wodka stoßen unsere Gastgeber immer wieder auf „na druschbo“ auf die Freundschaft an. Auch hier kommen wir einer Bitte nach, bezahlen eine Krebsoperation und geben eine Spende für dort wo am Nötigsten. Im Anschluss Kaffeetrinken bei Konstantin Gorban dem früheren Bürgermeister. Erinnerungen werden ausgetauscht und auch das politische Leben in der Ukraine, wie auch die kriegerischen Auseinandersetzungen im Donbass werden mehr als lebhaft diskutiert. Beim Abschiednehmen bleibe ich stehen und bin überwältigt was ich sehe. Nichts, absolut nichts Außergewöhnliches. Nur Dreck, nur eine hoffnungslos dreckige Welt. Es ist einfach zum Heulen.


Der Sonntag beginnt mit dem obligatorischen Besuch der Klosterkirche und der großen Kathedrale. Beindruckend für unsere westlichen Ohren vor allem die ukrainisch-orthodoxe Liturgie des Gottesdienstes, aber auch der makellose Zustand der Gotteshäuser und Klöster mit frisch vergoldeten Kuppeln. In Charkiws Kirchen fühlen sich die Gläubigen, als stünden sie direkt vor dem Herrn, denn das Innere des geweihten Hauses ist in der Liturgie der „Himmel auf Erden“. In der Kirche selbst stehen die Gläubigen dicht an dicht beim Zwiegespräch mit Gott. Stundenlang bekreuzigen sie sich, fallen auf die Knie, berühren mit der Stirn den Boden, küssen Ikonen und flehen „Gospodi pomilui“, Herr erbarme Dich. Die Kopekenkerzen knistern und es riecht nach Weihrauch. Und überall Ikonen, irdische Himmelsfenster, aus denen dunkel die Heiligen blicken. Wir fahren weiter zur Oserjanska-Kirche. Es ist Mittagszeit und wir sind überrascht was wir hier sehen: Eine riesige Schlange von Bedürftigen und Bettlern wartet hier Sonntag für Sonntag auf eine Zuwendung der Kirche. Und auch hier Sonntagsmesse. Dreistündig, stehend, staunend, Kreuze küssen, Kreuzzeichen machen, sich beugen und Sünden leiern. Irgendwann fällt mein Blick durch die Kirchenfenster hinaus und plötzlich bilde ich mir ein, habe ich verstanden. Hier drinnen glitzert und flimmert es. Die goldschimmernden Ikonen – sie sind die Annäherungen an das Paradies. Was für ein Angebot, was für eine Alternative zur beschwerlichen Realität. Was für ein sanfter inszenierter Ausweg aus der mühseligen Banalität des Alltags.


Keine Zeit zum Nachdenken
Gegen 14 Uhr sind wir bei der Familie Telna. Vater, Mutter und Tochter Olga sind alle blind. Die blinde junge Frau verunglückte vor Jahren an einer U-Bahn-Haltestelle. Im Glauben, vor ihr befinde sich die geöffnete Tür der gerade eingefahrenen Metro, war Olga nach vorne und zwischen zwei Wagons gefallen. Der Strom der Schienen jagte durch ihren Körper. Die junge Frau erlitt ein Elektrotrauma und Verbrennungen vierten Grades am Bein. Alle Hilfen in der Ukraine und Deutschland erbrachten kein überzeugendes Ergebnis. Dennoch meistert die Familie inzwischen ihren Alltag so gut es geht. Auch hier fühlen wir uns verpflichtet einen finanziellen Beitrag zum Lebensunterhalt zu leisten.


Ein Projekt der Naturfreunde ist die kinderreiche Familie Reznikow. Bei der erneuten Schwangerschaft der Mutter kamen vor Jahren Drillinge zur Welt und die Zweizimmer-Wohnung platzte förmlich für sieben Kinder aus allen Nähten. Glücklicherweise hat die Stadt der Familie eine größere Wohnung zugeteilt. Die kleinen „Teufel“, zwischenzeitlich drei Jahre alt, freuten sich über unseren Besuch. Natürlich sind wir im selben Moment für lebendige Kinder als sogenannte Opas auch Opfer. Kurt Bauer und Roland Seitz geben auch hier erneut eine Spende.
Doch nach alledem gehört der Abend uns. Wir sind bei Familie Savenchuk am Stadtrand zum Abendessen eingeladen und erleben in ihrem kleinen Haus die überwältigende Gastfreundschaft am Tisch unserer ukrainischen Gastgeber


Neue Armenküche im Wohnbezirk „Kyiwskij“
Unser nächster Tag beginnt wie alle anderen mit der Frage: „Wie lange reicht mir mein Geld!“. Nach einem kurzen Frühstück mit Liesbeth Abfahrt ins „Territorialzentrum für soziale Dienstleistungen im Wohnbezirk „Kyiwskij“. Direktor Petro Korotjko erwartet uns bereits. Und wieder müssen wir, bevor überhaupt die ersten Gespräche geführt werden, an einem reichlich gedeckten Tisch Platz nehmen. Dann, nach kurzer Begrüßung erklärt uns Direktor Korotjko, dass in Charkiw neue Shopping- und Business-Zentren nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Menschen nach wie vor ein prekäres und kümmerliches Dasein fristen. Seine Einrichtung habe die Aufgabe vor allem Rentner, Familien mit Kindern, Binnenflüchtlingen und Sozialwaisen zu helfen. Wir sagen unsere Hilfe zu und sind bereit für das restliche Haushaltsjahr 2020 für die Ausgabe von Lebensmittel-Paketen 3000 Euro zur Verfügung zu stellen.


Der Nachmittag bringt uns ins Krankenhaus Nr. 16. Chefärztin Tatjana Chartschenko stellt uns 12 Frauen mit ihren an Leukämie erkrankten Kindern vor. Die Krankengeschichten der Kinder sind alles andere als hoffnungsfroh. Kurt Bauer hatte bereits kurz nach unserer Ankunft in Charkiw über die Ärztin Ludmilla Marenitsch ein größeres Medikamentenpaket der Naturfreunde Lauf übergeben und dankbar nimmt man unsere Geldspende für die Behandlung an Blutkrebs der 12 erkrankten Kinder entgegen.


Iwan unser Dolmetscher gibt das Tempo vor. Wir fahren zur Notumsiedlerin Frau Natalia Ponomarjova, einer krebskranken Frau, die vom Tod gezeichnet – mit ihren fünf Kindern in einem Gebäude, das jeder Beschreibung spottet, ihr Leben fristet. Eindeutige Meinung der kleinen Delegation: Das nimmt uns mit, wenn wir solche Not sehen. Was wird aus den fünf Kindern, wenn die Mutter stirbt? Körber: „Wir haben die Mietschulden übernommen und die nächsten zwei notwendigen Chemotherapien bezahlt, mehr können wir nicht tun“. Unser vorletzter Tag. Ich habe den Eindruck, in einem Zeitraffer zu leben.


Heute ist Dienstag unser letzter Tag
Die Koffer sind gepackt und wir haben einen letzten Termin im Kinderhospiz. Mit Stolz führt uns die zuständige Chefärztin Tatjana Pryhodko durch das mustergültige Haus. Eigentlich drängt es mich auch hier eine Spende zu geben – doch zwischenzeitlich bin ich pleite für einen größeren Betrag; stelle aber einen gewissen Geldbetrag mit Überweisung in Aussicht.


Mit großer Begeisterung werden wir gegen Mittag in der Armenküche „Skripka“ empfangen, wo die Arbeiterwohlfahrt seit Jahren an den Werktagen 35 Mittagessen an alte Menschen, Kranken und  Minderbemittelten zur Verfügung stellt. Bei meiner letzten Tischrede weise ich vor allem darauf hin, dass die gesamte Aktion ohne die zahlreichen Geldspenden aus der Bevölkerung und von verschiedenen Firmen überhaupt nicht zu realisieren gewesen wäre.


Auf dem Weg zum Flughafen geht mir alles noch einmal durch den Kopf. Unser Aufbruch in Nürnberg liegt nur sechs Tage zurück. Dazwischen liegt ein Bilderbogen, gewebt aus Erinnerungen, aus Eindrücken und Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Sind doch gleichzeitig auf den Straßen Charkiws Bettler mit aufgehaltener Hand und teuere Westautos zu sehen. Diese Autos gehören einer neuen Klasse von Besitzern von Privatunternehmen. Mit der Eröffnung neuer Geschäfte und Boutiquen wird Charkiw derzeit wesentlich schneller beglückt, als mit der Errichtung von Armenküchen, in denen mittellose alte Menschen umsonst essen können.

Hilfe, die verbindet

Ein gemeinsames Projekt von Lions-International, Lions-Club Lauf, Arbeiterwohlfahrt –Behringersdorf-Schwaig und Johanniter-Unfall-Hilfe Lauf.

Viele Hilfsorganisationen aus dem Ausland haben die Ukraine aufgrund der schwierigen politischen Situation verlassen. Umso wertvoller ist derzeit jedes Zeichen von Solidarität und Verbundenheit mit den Menschen in der Ukraine.

 

Ein solches Zeichen setzten der Lions-Club-International und der Lions-Club-Lauf mit einer Spende in Höhe von 6.000,- €uro für die Arbeiterwohlfahrt Behringersdorf-Schwaig in Zusammenarbeit mit Herrn Szüszner von der Johanniter-Unfallhilfe Lauf. Diese Spende dient dazu, Menschen in Nürnbergs Partnerstadt Charkiw, in für uns unvorstellbarer Not unbürokratisch zu helfen, die Unterstützung in allen Lebensbereichen dringend brauchen. Über 100.000 Bürgerkriegsflüchtlinge und viele Kriegsversehrte, die dringend medizinische Hilfe benötigen, verschärfen die Situation noch erheblich. Staatliche Unterstützung oder Hilfe durch die Stadt für die vielen sozial schwachen Familien, Rentner, Behinderte, Tschernobylopfer und Flüchtlinge reichen nicht aus. Für viele Flüchtlinge ist ein Überleben nur mittels der wenigen Armenküchen und durch den Erhalt von Lebensmittelpaketen und Spenden möglich.

 

Fritz Körber, Vorsitzender der AWO-Behringersdorf-Schwaig ist seit 28 Jahren ein wichtiger Initiato von humanitärer Hilfe für die Bewohner von Charkiw und die vielen Flüchtlingen. Seine regelmäßige Unterstützung von Krankenhäusern, von sozialen Einrichtungen, Kindergärten, Schulen und Armenküchen helfen, die Not ein bisschen zu lindern.

 

Viele Menschen konnten durch Medikamenten-Spenden und der Übernahme von Operationskosten überleben oder gesunden.Die Armenküche „Skripka“ kann seit vielen Jahren durch Spenden der Arbeiterwohlfahrt an Werktagen 35 warme Mittagessen ausgeben. Das Sozialzentrum im Wohnbezirk „Moskowsky“ hat im letzten Jahr weit über 2800 Lebensmittelpakete an Hilfebedürftige verteilt.

 

Für beide Maßnahmen ist jährlich einfünfstelliger Gesamtbetrag notwendig. Außerdem erhielten jeweils 150 besonders bedürftige Familien einen Geldbetrag von 30,00 Euro für den Kauf von dringend benötigter Medikamente. Trotz dieses Engagements kann durch diese Hilfeleistung nur ein geringer Teil der Bedürftigen versorgt werden. Dringendster Handlungsbedarf, so Körber, besteht derzeit bei der Ausgabe von Lebensmittelpaketen an Flüchtlinge, Vertriebene und unter dem Existenzminimum lebende Einwohner in Charkiw.

 

So bedrückend die Lage auch ist: Unsere Hilfe kommt an, sie wirkt – und wir danken dem Lions-Club International, dem Lions-Club-Lauf sowie der Johanniter-Unfall-Hilfe-OV.-Lauf für diese großartige Unterstützung.

 

"Jede Hilfe schafft Hoffnung"

Fritz Körber war mit drei Freunden von den Naturfreunden Lauf wieder in Charkiw

15. Februar 1992, eine vereiste und schneeverwehte Landstraße in der Ukraine, 28 Grad Minus, Fritz Körber elendiglich frierend am Steuer eines Lastwagens in einem AWO-Hilfskonvoi aus Nürnberg. „Da fahr ich nie mehr hin“, war in diesem Augenblick seine Empfindung, aber es kam anders. 27 Jahre später erinnert er sich noch immer genau an diesen Tag, weil das der Anfang einer beispiellosen Hilfsaktion war, die ihm bis heute eine Herzensangelegenheit ist.

 

Erst dieser Tage ist der agile AWO-Vorsitzende und Altbürgermeister von Schwaig-Behringersdorf wieder zurück aus Charkiw, wo er zusammen mit seinen Freunden Kurt Bauer, Roland Seitz und Edgar Völkel von den Naturfreunden Lauf vor Ort war, um erneut Hilfe zu überbringen, sich über laufende Projekte zu informieren sowie viele Freunde und Menschen zu treffen, denen er schon geholfen hat und die nach wie vor der Hilfe bedürfen.

 

"Behinderte, Tschernobyl-Opfer und alte sind am Rand"

Der Besuch hat Parallelen in der Geschichte der Arbeiterwohlfahrt, die in diesem Jahr 100. Geburtstag feiert und die 1919 mit sogenannten Armenküchen in Berlin notleidenden Menschen geholfen hat. 100 Jahre später gibt es zwei diese Armenküchen immer noch – in Charkiw - initiiert von Fritz Körber, der auch dafür sorgt, dass der Betrieb läuft, um dort den Menschen, die sich in einer Notsituation befinden wenigstens mit einer Mahlzeit täglich zu helfen. Zumindest in einer der Armenküchen. In der anderen werden wöchentlich Pakete mit Grundnahrungsmitteln ausgegeben.

 

Eine neu eröffnete Sozialstation würde dies ebenfalls gerne tun und hat den Wunsch an Fritz Körber herangetragen. Seit die Oligarchen am Ruder sind ist die Schwere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander gegangen. Alte Menschen, Behinderte und Tschernobyl-Opfer werden immer mehr an den Rand gedrängt und sind ohne jegliche Hoffnung. In den 27 Jahren, in denen Körber nun nach Charkiw kommt, hat sich das Bild der Stadt dramatisch verändert. Kaufen kann man zwischenzeitlich alles, vorausgesetzt man hat genügend Geld aber das haben viele Menschen eben nicht.

 

Körber weiß wie groß die Not ist, weil er sie mit seinen Freunden während des Aufenthalts tagtäglich mit eigenen Augen gesehen hat und den direkten Kontakt mit denen hatte, die der Hilfe dringend bedürfen. Als Einzelkämpfer allein könnte er das nicht stemmen und so ist er froh, dass er nach wie vor auf seine drei Freunde von den Naturfreunden Lauf zählen kann. „Sie waren schon bei der ersten Hilfsaktion mit dabei und engagieren sich bis heute.“ So wie er auf sie zählen kann gibt es viele Unterstützer, die mit dazu beitragen, dass zumindest dort geholfen werden kann, wo die Not am größten ist. „Dass wir in diesen 27 Jahren vielen helfen konnten ist der Mitwirkung vieler zu verdanken.“

"Gospodin Fritz" mit einer Familie, deren zwei Kinder behindert sind. Auch hier hat man helfen können.

"Zittriger Händedruck mehr Wert als alles andere"

Zwar stellt er sein eigenes Engagement gerne in den Hintergrund, aber Fakt ist, dass ohne seinen unermüdlichen persönlichen Einsatz dies kaum möglich wäre. „Wir versuchen eben wie vor 100 Jahren mit unserem Tun die ärgste Not zu lindern“, resümiert Körber und lässt keinen Zweifel aufkommen, „dass sich diese Arbeit lohnt.“ Keine Frage, dass es in dieser Richtung weitergehen muss, „denn jede Hilfe schafft Hoffnung.“

 

Der inzwischen fast 80-Jährige vergleicht sein Leben mit einer Etappenfahrt „und dabei ist Charkiw ein Riesenkapitel. Und ich bin dankbar, dass ich das erleben und helfen durfte.“ Das habe zwar viel Zeit und Geld gekostet, „aber ich bin reich beschenkt worden.“ Ihm bedeute der zittrige Händedruck einer alten Frau, der er mit ein paar Euro geholfen habe, mehr als alles andere. „Dankbarkeit und Zuneigung ist etwas was man sich mit Geld nicht kaufen kann, das muss man geschenkt bekommen. Und das hat mir immer sehr viel bedeutet.“ Die Dankbriefe, die er in all den Jahren erhalten hat legen ein beredtes Zeugnis dafür ab.

 

Die Schicksale der Menschen berühren ihn nach wie vor, wie aktuell das einer krebskranken Frau, die - vom Tod gezeichnet - mit ihren fünf Kindern in einem Gebäude, das jeder Beschreibung spottet, ihr Leben fristet. Selbst Tiere wären bei uns besser untergebracht. „Das nimmt mich mit, wenn ich solche Not sehe“, erzählt Körber. Was wird wohl aus den fünf Kindern, wenn die Mutter stirbt? Er hat wenigstens die Mietschulden bezahlt, mehr konnte er nicht tun. Auch sonst haben er und seine Begleiter in sozialen Einrichtungen und bei Familienbesuchen viel Elend und Not gesehen. Man half mit Geld wo man konnte und erfuhr dafür viel Dankbarkeit. Da waren zum Beispiel 150 sozial schwache Familien, von denen sich jede über ein Geldgeschenk von 30 Euro freuen konnte. Das örtliche Fernsehen berichtete und sorgte dafür, dass sich schnell herumsprach, dass „Gospodin Fritz“ – wie er liebevoll genannt wird - wieder da war.

 

Das Programm, zusammengestellt vom Departement für internationale Zusammenarbeit des Rates der Stadt Charkiw war zwar sehr umfangreich, aber auch erfolgreich. „Wir haben erreicht was wir erreichen wollten“, resümiert Körber, dem es ein großes Anliegen ist all denen zu danken, die ihn in all den Jahren unterstützt haben und die es auch in Zukunft tun werden. „Wir müssen weiter machen, weil jede Hilfe Hoffnung schafft“, hat sich Fritz Körber fest vorgenommen.

 

von Lorenz Märtl

erschienen in der Heimatzeitung "Der Bote".